MUSIK FÜR BECKEN
Material - Raum für Buchkultur, Zürich
9. october - 15. october 2025







Musik für Becken
A single cymbal. In front of a grey curtain that evokes a stage it begins to sound. Gently set into motion by a small motor a play of chance and mechanics unfolds. Each strike, each swing is unpredictable, producing a fragile presence between sound and silence. The instrument is not played but appears simultaneously as object and resonating body.
Opposed to this stands a second level: a roughly forty-minute composition created exclusively from recordings of this cymbal, altered, cut, condensed. It too is interwoven with pauses and breathing spaces, never continuous but open and airy. At times sounds emerge clearly, at times they retreat back into silence. In the layering of motorically generated chance sounds and consciously composed sound track a resonant field arises that is in constant transformation.
The space becomes a listening space. Not like a concert with beginning and end but as a durational composition that can stand at any moment on its own. Whoever lingers briefly experiences a complete piece. Whoever remains longer encounters a continuous transformation.
To the sound are added images. Two large-format scores, about 70 by 100 centimeters, hang in the room, graphic condensations that are not instructions for musicians. They are addressed to the viewers themselves. Whoever looks at them is invited to hear music inwardly and to develop their own sonic imagination from lines, spirals and densities. It is not the ears that determine the music but the eyes. Seeing is transformed into an inner hearing.
The scores are independent visual works that at the same time expand the sonic space. They make visible what otherwise remains fleeting: movement, circling, flowing. Their visual language opens a space of thought shaped by music without having to produce sound. In this simultaneity of sound and image a particular intensity emerges that charges the space.
Archetti’s work is an interface between visual art and sound art, a sculpture made of tones, drawings and space. It pursues no fixed statement but offers an open experience that generates intensity through simultaneity: hearing and seeing, sound and image, presence and silence.
Music for Cymbal also stands in a tradition that stretches from the Futurists to Fluxus and into the present, from the first manifestos on noise as music to today’s transgressions between art forms. As early as the early twentieth century Luigi Russolo described noise as musical material. Later artists of the Fluxus movement or experimental New York schools expanded the relationship between sound, image and action. Archetti continues this line without quoting historical forms. His work is not nostalgic but of the present. It asks how hearing and seeing today can enter into a shared space of experience.
With Music for Cymbal a situation arises that is both minimal and complex. An instrument, a curtain, two scores and speakers are enough. In this reduction a field opens up that cannot be exhausted. The cymbal strikes and fades, the sounds wander through the room, the drawings transform in the gaze of the visitors into inner music.
The installation invites us to immerse ourselves in this experience. A sound becomes visible, an image begins to resonate inwardly. No beginning and no end. Only a space in which perception itself becomes composition.
Text by Oliver Rico (Curator)
Musik für Becken
Ein einzelnes Becken. Vor einem grauen Vorhang, der wie eine Bühne wirkt, beginnt es zu klingen. Sanft in Bewegung versetzt durch einen kleinen Motor entfaltet sich ein Spiel aus Zufall und Mechanik. Jeder Schlag, jedes Schwingen ist unvorhersehbar, erzeugt eine fragile Präsenz zwischen Klang und Stille. Das Instrument wird nicht gespielt, sondern tritt als Objekt und Klangkörper zugleich auf.
Dem gegenüber steht eine zweite Ebene: eine rund vierzigminütige Komposition, ausschliesslich aus Aufnahmen dieses Beckens gewonnen, verfremdet, geschnitten, verdichtet. Auch sie ist durchzogen von Pausen und Atemräumen, nie kontinuierlich, sondern offen und luftig. Mal treten Klänge klar hervor, mal ziehen sie sich zurück in die Stille. In der Überlagerung von motorisch erzeugtem Zufallsklang und bewusst komponierter Tonspur entsteht ein Resonanzfeld, das sich ständig verändert.
Der Raum wird zu einem Hörraum. Nicht wie ein Konzert mit Anfang und Ende, sondern als Dauerkomposition, die in jeder Phase für sich stehen kann. Wer kurz verweilt, erlebt ein vollständiges Stück. Wer lange bleibt, erfährt eine kontinuierliche Transformation.
Zum Klang treten die Bilder. Zwei grossformatige Partituren von etwa 70 auf 100 Zentimeter hängen im Raum, grafische Verdichtungen, die keine Anweisungen für Musikerinnen oder Musiker darstellen. Sie richten sich an die Betrachterinnen und Betrachter selbst. Wer sie betrachtet, wird eingeladen, innerlich Musik zu hören und aus Linien, Spiralen und Verdichtungen eine eigene Klangvorstellung zu entwickeln. Nicht die Ohren bestimmen die Musik, sondern die Augen. Das Sehen verwandelt sich in ein inneres Hören.
Die Partituren sind eigenständige visuelle Werke, die zugleich den Klangraum erweitern. Sie machen sichtbar, was sonst flüchtig bleibt: Bewegung, Kreisen, Strömen. Ihre Zeichensprache eröffnet einen Denkraum, der musikalisch geprägt ist, ohne Töne hervorbringen zu müssen. In dieser Gleichzeitigkeit von Klang und Bild entsteht eine besondere Intensität, die den Raum auflädt.
Archettis Arbeit ist eine Schnittstelle von visueller Kunst und Klangkunst, eine Skulptur aus Tönen, Zeichnungen und Raum. Sie verfolgt keine festgelegte Aussage, sondern bietet eine offene Erfahrung, die Intensität durch Gleichzeitigkeit erzeugt: Hören und Sehen, Klang und Bild, Präsenz und Stille.
Musik für Becken steht zugleich in einer Tradition, die von den Futuristen über Fluxus bis in die Gegenwart reicht, von den ersten Manifesten über Lärm als Musik bis zu heutigen Grenzüberschreitungen zwischen Kunstformen. Schon Luigi Russolo beschrieb im frühen zwanzigsten Jahrhundert das Geräusch als musikalisches Material. Später erweiterten Künstlerinnen und Künstler der Fluxus-Bewegung oder experimenteller New Yorker Schulen das Verhältnis von Klang, Bild und Aktion. Archetti führt diese Linie fort, ohne historische Formen zu zitieren. Seine Arbeit ist nicht nostalgisch, sondern gegenwärtig. Sie fragt, wie Hören und Sehen heute in einen gemeinsamen Erfahrungsraum treten können.
Mit Musik für Becken entsteht eine Situation, die minimal und komplex zugleich ist. Ein Instrument, ein Vorhang, zwei Partituren und Lautsprecher genügen. In dieser Reduktion öffnet sich ein Feld, das sich nicht erschöpfen lässt. Das Becken schlägt und verklingt, die Klänge wandern durch den Raum, die Zeichnungen verwandeln sich im Blick der Besucherinnen und Besucher in innere Musik.
Die Installation lädt dazu ein, sich auf diese Erfahrung einzulassen. Ein Klang wird sichtbar, ein Bild beginnt innerlich zu tönen. Kein Anfang und kein Ende. Nur ein Raum, in dem Wahrnehmung selbst zur Komposition wird.
Text von Oliver Rico (Kurator)